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Unser Redebeitrag zum internationalen Frauen*Kampftag 2022

 

Foto aus den Westfälischen Nachrichten vom 08.03.2022: Pjer Biederstädt

 

Schaut Euch um. Macht Euch bewusst. Hier mitten unter uns versucht jeden Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Jeden 3. Tag wird eine Frau* getötet. Jede Stunde, werden in Deutschland durchschnittlich 15 Frauen* Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Das sagen die Statistiken des Bundeskriminalamts von 2020. Und die Dunkelziffer ist noch sehr viel höher.

 

Jede 3. Frau* wird mind. 1x in ihrem Leben Opfer von körperlicher und oder sexualisierter Gewalt. Mindestens die Hälfte der hier heute anwesenden Frauen* hat in ihrem Leben bereits sexuelle Belästigung erlebt. Ihr kennt es, das tagtägliche Kleinmachen mit verletzenden Witzen, Kommentaren über unsere Körper, Hinterher pfeifen, bis hin zu sexuellen Übergriffen und körperlicher Gewalt. Das alles passiert auch heute noch im 21. Jahrhundert, hier in Deutschland und weltweit! Fakt ist, Wir werden noch immer diskriminiert, ausgebeutet und ermordet, weil Wir Frauen* sind.

Die meisten von uns kennen Opfer oder sind/ und waren selbst Opfer. Aber wer kennt Täter?

Sexualisierte und körperliche Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* baut auf einem patriarchalen und kapitalistischen System auf. Die Strukturen dieses Systems unterdrücken uns Frauen* während sie Täter immer noch schützen. Mit Inkrafttreten der Istanbul-Konvention in Deutschland vor rund vier Jahren, hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* nachhaltig zu verhindern und zu bekämpfen sowie Betroffene durch umfassende Präventionsmaßnahmen zu schützen und zu unterstützen. Immer noch stellen sich der schwierige Zugang für gewaltbetroffene Frauen zu Schutz und Unterstützung in einem Frauenhaus genauso wie die Umsetzung der Istanbul-Konvention mit eklatanten Lücken und Vorbehalten als entscheidenden Defizite heraus. Insbesondere für Frauen* mit Flucht- oder Migrationsvorgeschichte, mit Behinderungen, diversen geschlechtlichen Identitäten oder Frauen* in Wohnungslosigkeit, ist der in der Konvention verankerte Zugang zu Prävention, Schutz, Beratung und Recht nach wie vor mangelhaft. Die genannten Defizite sind altbekannt und sie erfordern ein konsequentes, nachhaltiges politisches Handeln.

Gewalt ist tagtäglich eine Gefahr für uns Frauen*. Wenn wir sie nicht selbst erleben müssen, dann müssen wir sie befürchten. Unser Alltag ist geprägt vom Überdenken unserer Handlungen, um möglichst nicht selbst zu Betroffenen zu werden. Noch immer wird behauptet, dass Frauen aufgrund ihres Verhaltens und ihrer Kleidung Übergriffe und sexualisierte Gewalt provozieren. Die Verantwortung liegt jedoch einzig und allein bei den Tätern.

Wir dürfen uns deshalb nicht auf den bereits erkämpften Freiräumen und kurzzeitig erreichten Verbesserungen für einzelne Frauen* ausruhen. Wir müssen das Patriarchat und seine gesamtgesellschaftlichen Strukturen ständig kritisieren und radikal bekämpfen!

Auch durch die aktuelle Pandemie hat sich die Lebenssituation, speziell für Frauen*, während der letzten Jahre dramatisch verschlechtert. Die Taten der Partner oder Expartner können noch ungesehener geschehen. Das eigene Zuhause ist der gefährlichste Ort für Frauen und die Care Arbeit ist eine zusätzliche Last. Es findet nicht nur eine Doppelbelastung durch Beruf und Care-Arbeit statt. Gerade durch Corona ist die Verteilung der Care-Arbeit noch ungleicher geworden und wurde Zurückgeworfen. Eine veröffentlichte Studie mit dem Titel: „Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie“ hat bestätigt, dass die Zahl der Übergriffe und Bedrohungen im eigenen zu Hause steigt. Ein politisches Problem bleibt wieder mal an Einzelpersonen hängen, an Frauen, nämlich uns! Es besteht eine zusätzlich große Angst aufgrund von Corona ins Frauenhaus zu gehen. Die Beratungsstellen sind überfüllt und kommen nur schwer mit der Arbeit hinterher.

Die Einführung des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 2002 soll Frauen vor weiteren Handlungen der Täter zu bewahren. Es hat jedoch an der Gewalt gegenüber Frauen* und an den stetig steigenden Zahlen von Gewalttaten nichts verändert. Durch die Einführung des Begriffes „Häusliche Gewalt“, es hat viel mehr zu einer Entpolitisierung und Privatisierung geführt. Die Medien berichten oft weiterhin von Familien Tragödien, Ehrenmorden oder Beziehungstaten. Außerdem gibt es, nach fast 20 Jahren bestehend des Gewaltschutzgesetz immer noch keine Fortbildungen für Richter*innen oder Anwält*innen. Es fehlen Statistiken über Körperverletzungen und Vergewaltigungen mit Todesfolge außerhalb des sogenannten häuslichen Bereichs. Es fehlen Daten über Morde und Gewalttaten an Trans*Frauen oder mehrfach diskriminierten Frauen.

Der Kampf, den wir heute kämpfen, ist nicht neu. Bereits Generationen von Frauen kämpfen für die gleichen Dinge: für echte Gleichberechtigung, für den Sturz des patriarchalen, kapitalistischen Systems, für ein Ende der Ausbeutung und Gewalt - für alle Frauen, überall auf der Welt. 

Da der Kampf noch nicht gewonnen ist, ist die Arbeit von Frauenhäusern und Beratungsstellen gerade in der heutigen Zeit so wichtig.

Heute ist die Existenz von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen weitgehend bekannt und akzeptiert. Das war nicht immer so. Als vor mehr als 40 Jahren unser Verein Frauenhaus und Beratung e.V. gegründet und in den darauffolgenden Jahren die autonomen Frauenhäuser in Telgte und Münster und die Beratungsstelle in Münster eröffnet wurden, wurden die Frauen mit endlos vielen Widerständen konfrontiert. Sie sind standhaft geblieben und haben immer weitergekämpft. Deshalb können wir heute diese Arbeit weiterführen und Frauen und Kindern, die von patriarchaler Gewalt betroffen sind, helfen. Wir bieten nicht nur einen Schutzraum, sondern auch Unterstützung, psychosoziale Beratung und helfen beim Start in ein gewaltfreies Leben. Wir stehen parteilich hinter den Frauen und Kindern und kämpfen für und mit ihnen. Wir kennen die Vorurteile gegenüber Frauen, die von Gewalt im sozialen Nahraum betroffen sind. Gerne wird so getan als wäre Gewalt gegen Frauen ein Klassenproblem oder ein migranitsches - eins, das einen selbst nicht betrifft. Leichter sind solche Erklärungen allemal. Sie treffen aber einfach nicht zu. Gewalt kann jede treffen, egal welcher Klasse, Ethnie, Identität, Religion, Sexualität jemand angehört, egal ob auf dem Land oder in der Großstadt. Solange sich gesellschaftliche Strukturen nicht ändern, bleibt patriarchale Gewalt ein Problem. Ein Problem, das in die Mitte der Gesellschaft gehört, für das alle verantwortlich sind. Häusliche Gewalt ist kein privates Problem, sondern ein gesellschaftliches und auch politisches. 

Unsere Arbeit ist bis heute nicht ausreichend finanziert, es fehlt an Zeit, Geld, Plätzen und Personal. Es gibt keine kostendeckende, einzelfallunabhängige Finanzierung der Frauenhausarbeit. Vielen Gruppen von Frauen wird der Frauenhausaufenthalt nicht finanziert, sie müssen also in der sowieso schon unfassbar schwierigen Situation noch für den Aufenthalt im Frauenhaus bezahlen. Wie viel sollen Opfer patriarchaler Gewalt noch bezahlen, während die Täter ihr Leben einfach weiterleben dürfen?

Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende gekämpft - deswegen kämpfen wir weiter und hoffen, dass es in irgendeiner Zukunft keine Frauenhäuser und Beratungsstellen mehr geben muss. Bis dahin sind wir unermüdlich - auch wenn wir oftmals überlastet, ungesehen und unterbezahlt sind!

Zum Schluss möchten wir diese Gelegenheit noch nutzen, um unsere Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und überall auf der Welt, wo Krieg herrscht, auszudrücken. Leider gehen sexualisierte Gewalt gegen FLINTA und Krieg meist Hand in Hand, deswegen denken wir heute besonders an alle, die aktuell von Krieg und der damit einhergehenden Gewalt betroffen sind.